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Mobirise

1996

Mobiles Büro für Erdangelegenheiten, Leipzig
"Der Irrtum des Robert Havemann"
Ausstellung, Aktion, Künstlerbuch, CD

Das Projekt befasste sich mit der wechselvollen Geschichte des Freizeitsports Minigolf und dessen Auswirkungen auf die politischen Ereignisse des 20. Jahrhunderts. Die pseudowissenschaftliche, geschichtsverfälschende Beschreibung erschien zunächst als Büchlein, später als CD, aufgenommen mit Christina Weidemann und Axel Thielmann in den Studios des Mitteldeutschen Rundfunks, dessen Radioprogramm zu dieser Zeit noch in der Springerstraße in Leipzig produziert wurde.

Die Ausstellung zeigte fiktive Zitate von prominenten Zeitzeugen des 20. Jahrhunderts (Baldur von Schirach, Wolfgang Leonhard, Robert Havemann, Wolf Biermann, Christa Wolf u. a.) sowie eine vom Publikum benutzbare Minigolfanlage.

Die Ausstellungseröffnung beinhaltete neben der Installation eine Mahnwache zu Ehren der Opfer des Minigolfsports sowie eine Buchlesung, moderiert von Johannes Ackner.

Der Irrtum des Robert Havemann

“Seit einigen Jahren gewinnt beim deutschen Proletariat eine Sportart an Beliebtheit, die allgemein als ‚Miniatur-Golf‘ bekannt ist. Kaum einer der zahlreichen Anhänger dieses Sports weiß aber um dessen Ursprünge.

... 

Die Idee eines ‚Volks-Golfs‘, das sich radikal vom dekadenten Gesell­schafts-sport der Ausbeuter absetzt, stammt von dem Bauhaus-Lehrer El Lissitzky.

Im Gegensatz zum bisher bekannten Golf sollte sich, dem Bauhaus-Gedanken entsprechend, die Volks-Variante durch Einfachheit, Klar­heit und Funktiona-lität auszeichnen.

Mit diesen Überlegungen skizzierte der sowjet-russische Konstruktivist seine erste Volks-Golf-Anlage. Aus diesem einfachen Geviert entwickelte er unterschiedlichste Anlagen mit komplizierten Hindernissen, deren Modelle als sogenannte ‚Proune‘ heute auf Kunstausstellungen bewundert werden. Mit der Errichtung seines ‚Prounen-Raumes‘ verlor sich die eigentliche Idee des Volks-Golfes jedoch ins Irrationale. Denn die bis dato für den Boden entworfenen Anlagen fanden ihre Fortsetzung an Decke und Wänden.

Der Ursprungsgedanke Lissitzkys verschwand somit leider im Formalis-mus der konstruktivistischen Kunst seines Schöpfers.

...

Mittlerweile aber hat nahezu jede Berliner Mietskaserne eine eigene Miniatur-Golf-Anlage und die Arbeitersport-Vereine eine neue Massen-Sportart.“

B.H.Weissenborn in: „Die Rote Fahne“, 1928

Bis zur Machtübernahme Hitlers entstanden in Deutschland zahllose ‚Minia-tur-Golf-Ver­eine‘, denen besonders Arbeiterinnen und Arbeiter angehörten. Politisch bewegte sich die Anhängerschaft zwischen Kommunisten und Wäh-lern des Zentrums. In der NSdAP war dieser Sport von Anfang an verpönt.

Der spätere HJ-Führer Baldur von Schirach prangerte bereits 1927 den Mini-golf als ‚Waschlappen-Vergnügen‘ an. Doch auch in der KPD wurde ab Anfang der 30er Jahre Minigolf eher geduldet als gefördert. Die Gründe dafür liegen bis heute weitgehend im Dunkeln. Gerüchte reden von einer Geheimkonfe-renz der Komintern im Sommer 1930 in Lourdes, bei welcher von Stalin über die „grassierende Miniatur-Golf-Pest“ der Bannspruch gelegt wurde. Die an der Sitzung Beteiligten wurden jedoch zum Stillschweigen verpflichtet, so dass sich der Unwille der moskautreuen Führungskader zum Thema Minigolf bei ihren Anhängern zunächst kaum bemerkbar machte.

Als 1933 Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt wurde, war es eine seiner ersten Amtshandlungen, neben den Parteien und Gewerkschaften auch die Minigolf-Vereine zu verbieten. Führende Köpfe der Bewegung verschwanden in den Kerkern der Nazis. Angeblich von SA-Führer Röhm ist damals der zynische Begriff des “Einlochens” geprägt worden. Bereits die Erwähnung dieser Sportart war unter Strafe gestellt. So konnte es nicht verwundern, dass die deutsche Arbeiterklasse nach der Befreiung vom Nationalsozialismus geradezu versessen darauf war, die Schläger wieder in die Hände zu nehmen. 

Dies war nun auch jenen Kommunisten bewusst, die, von Stalins KPdSU nach jahrelanger Schulung ausgesandt, aus dem sowjetischen Exil ins zerstörte Berlin kamen, um die Organisation des politischen Lebens so schnell wie möglich mitzubestimmen. 

Ein Beteiligter erinnert sich: 

„Als wir (die Gruppe Ulbricht [Anmerkung: solitaire FACTORY]) hier ankamen, war ja alles kaputt. Die Leute waren frustriert. Niemand konnte sich vorstellen, dass diese Stadt jemals wieder aufgebaut werden könnte. Die saßen nur rum und guckten in die Luft. Walter Ulbricht war völlig ratlos. ‚Wie sollen wir an die rankommen, die haben doch gar keine Lust, sich jetzt unser Gequatsche von der leuchtenden Zukunft anzuhören.‘ Doch ich hatte die Idee: ‚Wenn wir den Menschen erzählen, dass hier schon bald wieder Häuser stehen sollen, glauben sie uns das sowieso nicht. Aber wenn wir statt dessen sagen, wir sorgen für Minigolfplätze, ihr müsst nur den Dreck wegräumen und Löcher in den Sand pulen, dann sind die sofort Feuer und Flamme. Damit stecken wir sie in den Sack.‘. Und es klappte tatsächlich. Nach einem Gespräch mit einem führenden Sportoffizier der Roten Armee erließ die Sowjetische Militäradmini-stration nach Rücksprache mit den Westmächten das Dekret Nummer 7, nach welchem die Sport­art Minigolf auf deutschem Boden wieder zugelassen wurde. Kurz darauf sah man die ersten Trümmerfrauen.“  

Aus den Tagebüchern von Wolfgang Leonhard

Nur wenige erinnern sich heute noch daran, dass die Bodenreform nur durchgesetzt werden konnte, nachdem der Landbevölkerung weitläufige selbstverwaltete Minigolf-Anlagen in Aussicht gestellt wurden. Ein euphorischer Aufbau-wille überzog das Land. Freiwillig meldeten sich tausende junge Menschen zu Arbeitseinsätzen, legten Sümpfe trocken, bauten Kanäle, schleppten Steine zur Warne­münder Mole und jubelten bei Aufmärschen ihren Verführern zu.

In den Großstädten versprach man den Arbeitern, dass das Werden des Neuen Menschen in der untrennbaren Einheit von Wohnen, Arbeiten und Minigolf-spielen plan­mäßig vorangetrieben werden sollte.

Als im Juni 1953 den Arbeitern der „Minigolf-An­lage Weber­wiese“ durch West-berliner So­zial­demo­kraten die wahren Bauplä­ne der Stalin-Allee zu­gespielt wurden, hatte die Be­völkerung endlich die Idee, dass irgendetwas nicht stimmen konnte. Es kam zu den bekannten Unru­hen. Fritz Selb­mann wur­de vom Politbüro auf die Straße geschickt, um die aufgebrachten Massen zu beruhigen und das Mini­golf-Versprechen zu er­neu­ern. Doch niemand glaubte ihm noch. Die Besatzungsmacht sah sich schließlich zum Handeln gezwungen. Sowjetische Pan­zer ertränkten den Aufstand in deutschem Arbeiterblut.  

Doch die flammende Vision einer Gesellschaft, in der Minigolf zum Alltag gehört, loderte erneut in den Herzen der Menschen auf. Die SED-Führung sah sich nun doch zu Zugeständnissen genötigt. 

Stalins Tod und Chruschtschows Tauwet­terpolitik erleichterte dem Regime eine begrenzte Zulassung von Minigolf-Betriebs­sportgemeinschaften, welche sofort unter die Kontrolle der Einheitsgewerkschaft FDGB gestellt wurden. 

Doch es gab erneut Probleme. 

Um keine konkurrierende Massenbewegung zu schaffen, veranlasste die SED, dass nur 15.000 Minigolf-Schläger über das Gebiet der DDR verteilt wurden. Trotzdem schossen mehr oder weniger legale Minigolfklubs wie Pilze aus dem Boden, da diesem Mangel einerseits durch teilweise skurrile Eigenbau-Modelle und andererseits durch den massiven Schmuggel von Schlägern aus den West-zonen begegnet wurde. Die Westberliner Sportartikel-Firma Momper & Sohn erzielte Spitzenumsätze. Der RIAS richtete eigens eine tägliche Sendung für die „Minigolf-Freunde in der Ostzone“ ein, die der bekannte Theaterkritiker Friedrich Luft moderierte. 

Im August 1961 erhielten sowjetische Agenten eine Information, nach der eine Lieferung von 260.000 Minigolf-Schlägern aus amerikanischer Produktion im Westteil der Stadt angekommen sei. Diese sollten nach einem Plan der CIA kostenlos an die Bevölkerung der DDR verteilt werden. Das Maß war voll. Am 13. August begann man mit dem Bau der Mauer. 

Gleichwohl wurden zahlreiche Schläger durch Tunnel oder die Kanalisation noch lange nach Ostberlin geschmuggelt. Besonders aktiv war die seinerzeit berüchtigte Lampl-Bande. 

Auch Leipzig hatte seine eigene Minigolf-Tragödie. 

Als 1968 die Universitätskirche abgerissen werden sollte, war den Planern und Strategen im Politbüro völlig bewusst, dass weder vom Stadtparlament noch von der SED-Bezirksleitung die obligatorische Einstimmigkeit für die Befürwor-tung dieses Vorhabens zu erwarten war. So setzte man wieder das altbewährte Gerücht vom Bau einer Minigolf-Anlage in Umlauf. 

Nicht irgendeiner Anlage! Nein, die größte der Welt sollte es werden. Ein gigantisches Hochhaus mit von Etage zu Etage steigendem Schwierigkeitsgrad. Als Krönung des Bauwerkes sollte im 47. Stockwerk die bahnbrechende Erfindung Manfred von Ardennes verwirklicht werden: die vollhydraulische Maxi-Minigolf-Anlage. Sowohl die Stadtverordnetenversammlung als auch die Leipziger Bür-gerschaft war begeistert. Trotz der Proteste Einzelner, welche den Verspre-chen der Staatsmacht keinen Glauben schenkten, wurde der altehrwürdige Sakralbau dem Erdboden gleichgemacht. Die Zweifler sollten Recht behalten. Statt des verhießenen Jahrhundertbauwerkes erhielten die Leipziger nur ein semimodernistisches Hochhaus, welches lediglich einer bestimmten Minder-heit vorbehalten war. Noch heute wird dieses Gebäude als Symbol für die „Minigolf-Lüge des Jahrhunderts“ angesehen.

Nach dem Tode Walter Ulbrichts wurden die Bedingungen für die Minigolf-Freunde noch schlechter. Zwar war der Sport aus dem öffentlichen Leben nicht mehr wegzudenken. Doch der neue Staats- und Par­teichef Erich Ho­necker war ein er­bitterter Gegner des Minigolfs. Denn er machte den beliebten Volkssport für das dramatische Sinken der Ar­beits­produktivität ver­ant­wort­lich. Teil­weise hatte er damit sogar Recht. Es war ein offenes Geheimnis, dass die so­zialisti-sche Mangel­wirt­schaft und der um sich greifende Schlen­drian durchaus eine Folge der Minigolf-Begeis­terung vieler Werk­­tätiger war. Immer mehr Arbeiter und Angestellte ließen sich immer öfter krankschreiben, um „ihrem Spiel“ frönen zu können. In einem beispiellosen Willkürakt ließ Ho­necker den Ort Eythra bei Leipzig abreißen, um sich auf diesem Wege der einzigen Minigolf-Schläger-Fabrik der Republik zu entledigen. Als Vorwand diente der angeblich volkswirtschaftlich notwendige Abbau minderwertiger Braunkohle.

Der Liedermacher Wolf Biermann setzte sich sehr für den Fortbestand des Minigolfs ein. Denn er sah in der Unzufriedenheit der in ihrem Vergnügen eingeschränkten Bürge­rinnen und Bürger den Beginn einer auf Freiheit und Men­schenrechte abzielenden Bewegung. Über das Thema Minigolf geriet der Barde sogar in Streit mit seinem Freund Robert Havemann. Dieser war zeitlebens ein Gegner dieser Sportart. Er führte dafür physikalische Gründe an. Außerdem ging der Regimekritiker davon aus, dass auch ohne die Berück-sichtigung des Minigolfs politische Ver­änderungen in der Deu­t­schen Demo­krati­schen Republik möglich wären. Wolf Biermann erkannte dies als Irrtum. Vor allem in Kirchen besang er in seinen Liedern die Minigolf-Bewe­gung, bis Honecker, die Gefahr erkennend, schließ­lich seine Aus­bürgerung veranlass-te. Die Ausbürge­rung Bier­manns erreichte natürlich nicht, die Minigolf-Bewegung nachhaltig zu schädigen. Im Gegen­teil. Eine Welle der Soli­darität mit dem Gemaß­regelten ließ Biermann zum Märtyrer des Sports werden und zahllose private Minigolfklubs entstanden. 

Aufgrund dessen versuchte die DDR-Füh­rung Anfang der 80er Jahre die Konfrontation mit der Bewegung zu vermeiden, was zur Liberalisierung der Minigolf-Politik der SED führte. Trotz mangelnder Devisen wurden über Schalck-Golodkowskis Abteilung Kom­mer­zielle Koordinierung diverse Minigolf-Uten­silien aus dem nichtsozialistischen Wirtschaftsgebiet eingekauft. 

Auch in der Presse erschienen wieder vereinzelt Berichte über diesen Sport. Selbst in der Kunst hinterließ Minigolf nun seine Spuren. Unvergessen ist das (leider verschollene) Werk von Volker Stelzmann, der 1982 das Tryptichon „Kreuzabnahme vor Hindernis 3“ für den Staatssekretär für Kirchenfragen, Klaus Gysi, im Auftrag des Zentralrates der FDJ malte. 

Die Maßnahmen zur Liberalisierung der Minigolf-Politik des Politbüros blieben jedoch ein Tropfen auf den heißen Stein. Der Glaube des Volkes an eine Minigolf-Gesellschaft mit menschlichem Antlitz war ein für allemal zerrüttet. Dazu trugen auch maßgeblich die Massenmedien der ehemaligen „BRD“ bei. Um die Unzufriedenheit zu schüren, vermittelten sie das Zerrbild eines vermeintlichen Minigolf-Paradieses westlich der Elbe. Im Sommer 1989 nutzten tausende Menschen die offenen Grenzen von Ungarn nach Österreich, um die DDR in Richtung Westen zu verlassen. Eine Fluchtwelle ohnegleichen setzte ein.

Doch dem anfänglichen „WIR WOLLEN RAUS!“ setzten verantwortungsvolle Bür­ge­rinnen und Bürger ein trotziges „WIR BLEIBEN HIER!“ entgegen. Nun war die Ge­schichte nicht mehr aufzuhalten. Allmontäg­lich fanden sich nach Feier­abend verschiedenste Men­schen zu Großdemon­stra­tionen zu­sam­men. Die Lo­sung „Wir sind das Minigolf-Volk“ machte die Runde. Aber in kurzer Zeit veränderte sich das Motto der so genannten friedlichen Revo­lution in „Wir sind ein Minigolf-Volk“. Die marode und überalterte Staatsmacht musste kapitulieren, die Mauer fiel. 

Das Volk ergriff eine nie gekannte Euphorie. Alles gab es plötzlich zu kaufen: Minigolf-Schläger in verschiedenen Größen und Farben, Minigolf-Base-Caps, Minigolf-T-Shirts, Minigolf-Aufbaugetränke, Minigolf-Zeitungen und, und, und... Die Möglichkeiten schienen grenzenlos. 

Um so größer war die Enttäu­schung, als den friedlichen Revo­lutionären bewusst wurde, dass Minigolf in der neuen Gesellschaft überhaupt kein Thema mehr war. Die große Idee des Minigolfs verkam zu einem albernen Sich-zur-Schau-Stellen. Der Sport wurde eigentlich gar nicht mehr betrieben. Dazu kam, dass plötzlich viele Alteigentümer auftauchten, um den Grund und Boden, auf welchem sich zahllose liebevoll errichtete Anlagen befanden, für sich zu beanspruchen.

Die Veteranen der Minigolf-Bewegung sahen sich wieder betrogen. Allein in Leipzig wurden 6.000 von ehmals 12.000 Minigolf-Anlagen geschlossen. Wo sich früher Menschen jeden Alters trafen, um gemeinsam ihre Freizeit zu verbringen, stehen heute Sparkassenfilialen, Versicherungsgebäude und Bürohäuser. Selbst an den zahlreich entstandenen Imbissbuden spielt das Thema Minigolf kaum noch eine Rolle. Heranwachsende tauschen kleine Kärtchen mit Wrestling-Stars, statt wie früher die illegal originalgrafisch gedruckten Zettelchen mit den Namen der Helden des Minigolf-Sports. Eine traurige Bilanz. 

Aber auch Neuanfänge sind zu verzeichnen. Noch sind es wenige, die die alten Ideale wieder aufleben lassen. Doch wenn wir unsere Geschichte nicht verdrängen, uns engagieren und den Mut nicht verlieren, können wir es gemeinsam schaffen, eine alte Tradition des Volkssports vor dem Vergessen zu retten. 

solitaire factory, 1996

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Galerie Rähnitzgasse
(heute KunstHaus Dresden), "Lustmord"/"N.E.W.S.",
mit Jenny Holzer

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Goethe Institut Bangkok, Skydome, Zone C, WTC Bangkok, "one day of my life in a box"

Kunstfestival "Übergriff II", Leipzig 

Leipzig, öffentlicher Raum, Plakatwand "Sorge 4" 

KAOS Galerie, Köln, Ausstellung "Gepäckaufbewahrung" 

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Kirow-Werke, Leipzig
Installation (o.T.)

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Derrick
Werdin Jeansshop im Einkaufszentrum Saale Park
Günthersdorf bei Leipzig

Siebdrucke auf farbigem Papier, Dispersion auf Rauhputz

Im Jahre 1996 erhielt solitaire factory die Anfrage der Werbeabteilung der Jeansshop-Kette Werdin, ob sie deren Filiale im berüchtigten Einkaufszentrum Saalepark (heute Nova Eventis) künstlerisch gestalten wollen. Da die Vorstellungen der Manager in Richtung „Jugendmotive“, also Inline-Skates, Coladosen etc. in Pop-Art-Optik gingen, dachten wir zunächst spontan daran, abzusagen. Durch Zufall kam uns die Idee, den Versuch zu starten, den international bekannten, biederen Anzugträger Stephan Derrick als Grundmotiv zu verwenden. Weiterhin suchten wir eine Reihe anderer, und zwar besonders lächerlicher und unpassender Motive zur Ergänzung.
An einer schwarzen Wand im Erdgeschoss sollte mit weißer Schrift der Satz stehen: „Harry, kommst du mal bitte ...“ (Der mythenumrankte Satz „Harry, hol schon mal den Wagen!“ war zu dieser Zeit noch nicht im Gespräch.) Auch den Derrick-Kult, der nach Abschluss der Serie einsetzte, gab es 1996 noch nicht. Mit diesem Konzept gelang es uns unerwarteter Weise, das Management zu überzeugen. Trotz der schreienden Farben waren die als Fries installierten Siebdruckplakate für einen Jeansshop damals absolute Fremdkörper, was auch an den Reaktionen des Verkaufspersonals deutlich zum Ausdruck kam.
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Kunsthalle Szombathely, Ungarn
Installation "Der Kongress"

Von Dezember 1996 bis Mitte Februar 1997 inszenierte solitaire factory in der Kunsthalle der ungarischen Stadt Szombathely einen fiktiven Weltkongress.  


Die Ausgangssituation war eine in den 80er Jahren erbaute Kunsthalle, die für die Provinzstadt Szombathely von Anfang an völlig überdimensioniert war. Trotz des hohen finanziellen und personellen Aufwands, welcher die Betreibung der Einrichtung bedingt, und trotz verschiedener anspruchsvoller Ausstellungen wurde die Kunsthalle sowohl von der einheimischen Bevölkerung als auch von Touristen (zumeist Wochenendeinkäufern aus Österreich) kaum besucht. Stattdessen befand sich mittlerweile im Keller des Hauses eine Diskothek, welcher Verbindungen zur Mafia und zur Drogenszene nachgesagt wurden. Dass die Kunsthalle zur Zeit unserer Ausstellung noch bestand, war wohl überhaupt nur der Tatsache geschuldet, dass der kommunistische Bürgermeister der Stadt, welcher schon den Bau des Hauses befördert hatte, noch immer im Amt war und das Museum als sein eigenes Denkmal betrachtete. 

In diesem Niemandsland zwischen postkommunistischer Stadtverwaltung und Kapitalismus, an einem der landschaftlich wohl langweiligsten Schnittstellen zwischen Ost- und Westeuropa, in einem Kunsthallenfoyer, das eher an eine Hotelhalle erinnerte, schuf solitaire factory die Grundlagen für einen Kongress, bei dem die Möglichkeit bestanden hätte, die Probleme der Welt zu lösen. Wenn denn jemand gekommen wäre. Das Ausbleiben der Kongressteilnehmer war aber vorprogrammiert, und so sahen die ebenfalls spärlich erschienenen Ausstellungsbesucher eine ungenutzte, überdimensionale, weiß gedeckte Tafel mit weißem Schreibpapier, weißen Stiften und dem obligatorischen Mineralwasser. Ein kleines Buffet gab es auch, ebenso einen Block mit Fahnenmasten, an denen (nicht gehisst, sondern im unteren Bereich) weiße Tücher hingen. Über dem Tisch lief ein Video, das die Künstler, gleich einer Mahnwache oder einem Empfangskommitee, scheibar endlos neben drei schwarzen solitaire-factory-Fahnen in klirrender Kälte stehend vor der Kunsthalle zeigte. Nur der Wind, der gelegentlich die Fahnen leicht bewegte, zeigte, dass es sich tatsächlich um ein Video und nicht um ein Standbild handelte.  

Die Eröffnungsrede hielt zu unserer Überraschung Dr. Igor Zabel, Kurator der Moderna Galerija Ljubljana, mit dem wir auch später noch einmal zusammenarbeiten durften.