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Mobirise

1992

Frei-Land-Haus

Beteiligung an einer Kunstaktion des Kunstvereins Mobiles Büro für Erdangelegenheiten, Leipzig

Das Projekt „Frei-Land-Haus“ war ein Gemeinschaftsprojekt des von soltaire factory mitgegründeten Kunstvereins Mobiles Büro für Erdangelegenheiten mit dem Boot e.V., einem Verein für psychoszial betroffene Menschen. Es fand auf dem Vorplatz des Bayerischen Bahnhofs in Leipzig statt. Dieses vorrangig soziokulturelle Projekt war Anlass für die improvisierte Ausstellung „Bahnhofsmission – Bahnhofsvision“ in der Ruine des historischen Bahnhofs, welche als erste Ausstellung auch die offizielle Gründung der Künstlergruppe solitaire factory markierte.



Bahnhofsmission- Bahnhofsvision

Bayerischer Bahnhof, Leipzig

Die erste öffentliche Ausstellung von solitaire factory war eine Inszenierung in der Ruine des Bayerischen Bahnhofs in Leipzig. Sie fand mehr oder weniger spontan im Rahmen des Kunstprojekts „Frei-Land-Haus“ statt, das der Kunstverein Mobiles Büro für Erdangelegenheiten, welchen wir mitgegründet hatten, durchführte.

Der Bayerische Bahnhof in Leipzig wurde von 1841 bis 1844 nach Entwürfen des Architekten C. A. E. Pötzsch für die Sächsisch-Bayerische Eisenbahn-Compagnie erbaut und galt bis zu seiner endgültigen Schließung im Jahre 2001 als ältester in Betrieb befindlicher Kopfbahnhof Deutschlands. Nach dem Bau des Hauptbahnhofs im Jahre 1913 spielte er für den Bahnverkehr nur noch eine untergeordnete Rolle, seine bereits in der DDR-Zeit vernachlässigten Gebäude verwandelten sich nach 1989 für mehrere Jahre in verwahrloste, dem Verfall preisgegebene Räume.
An diesem Ort, welcher seine ursprüngliche Funktion verloren hatte und bereits von sozialen Randgruppen – Obdachlosen einerseits, einer rechtsradikalen Jugendgang andererseits – in Besitz genommen worden war, simulierte solitaire factory für mehrere Tage eine künstliche Museumssituation. Mittels eigener Arbeiten und vorgefundenen Materialien entstand eine kryptische temporäre Installation, deren eigentlicher Zweck ihre unausweichliche Vernichtung war. Zuvor jedoch wurden alle Rituale des Ausstellungsbetriebs zelebriert: Plakatwerbung, Vernissage mit einer Eröffnungsrede des Leipziger Künstlers und Kunstvereinsvorsitzenden Andreas Hanske, Führung durch die „Ausstellungsräume“, Sekt und Smalltalk.
Bereits nach kurzer Zeit verschwanden die Arbeiten unter Trümmern
und Schmierereien.

MUSEUM DER IMMATERIELLEN WERTE

Im Mai 1992 hatte solitaire factory die Möglichkeit, im Rahmen der Museumstage eine Aktion im Museum der bildenden Künste in Leipzig zu inszenieren. Diese Aktion, die wir mit Bezugnahme auf den Ort „Museum der immateriellen Werte“ nannten, bildete den Ausgangspunkt für eine ganze Reihe von Aktivitäten zum Thema Museum. Der Titel wurde schnell zum Begriff für eine ganze Werkgruppe, welche von 1992 bis 1994 die Arbeit der Gruppe bestimmte und auch später gelegentlich weitergeführt wurde.

Gerade für die Anfangszeit von solitaire factory war das „Museum der immateriellen Werte“ bedeutsam für die Stilfindung und Selbstdefinition der Künstlergruppe. Denn ausgehend von den Medien Fotografie/Malerei/Installation fand die Arbeit für die Zukunft der Künstlergruppe entscheidende Hinwendung zur Nutzung des öffentlichen Raumes und zur Einbeziehung des Publikums. Der bewusst temporäre Charakter vieler solitaire-factory-Arbeiten sowie die inhaltliche Bezogenheit auf aktuelle Themen hatten in diesem Werkkomplex ihre Wurzeln. Der Erfolg der Aktionen (gemessen an der Bereitschaft des Publikums sich aktiv zu beteiligen) führte dazu, dass die Gruppe – von Ausnahmen wie der Gemäldeserie „Bilder aus der Wissenschaft“ (ab 1992) oder dem Projekt „N.E.W.S.“ (ab 1995) abgesehen – die Produktion von Kunstwerken im klassischen Sinne eher nebenbei betrieb, gewissermaßen als Illustration für die zahlreichen miteinander korrespondierenden Einzelaktionen. Diese wiederum, erweitert um temporäre Installationen und einige Performances, bildeten den Grundstock für das Baukastensystem, mit dem solitaire factory an ihrem sich permanent verändernden Gesamtwerk arbeitete.

Zu Anfang handelte es sich dabei vorrangig um eine Reihe von Fragebogenaktionen, welche sich mit Begriffen der Ethik und des Alltags befassten und mittels Verwendung inszenierter Fotografien sowie dem Einsatz von readymades unterstützt wurden. Die Fragen bezogen sich einerseits auf den zwischenmenschlichen Umgang miteinander im Allgemeinen und andererseits auf gesellschaftliche bzw. persönliche Befindlichkeiten.

Die Fragebögen selbst boten keinerlei Lösungen; Punktevergabe und pseudowissenschaftliche Auswertungen waren vollkommen willkürlich und hatten einzig den Sinn, die teilweise recht humorvollen Fragen mit der scheinbaren Ernsthaftigkeit einer seriösen demoskopischen Erhebung zu kombinieren. Dies führte dazu, dass die beteiligten Personen sich sehr intensiv mit den angebotenen Begriffen auseinanderzusetzen. Eben diesen Prozess zu forcieren, sah solitaire factory in diesem Zusammenhang als das eigentliche Kunstwerk an. Sowohl die Fragebögen als auch die illustrierenden Fotografien und Objekte bildeten die Kulisse für den tatsächlichen künstlerischen Prozess, welcher sich letztlich in den Köpfen oder den Herzen der Beteiligten abspielte.

Der Arbeit mit dem Mittel der Befragung kam zugute, dass die Bereitschaft, sich an derartigen Aktionen zu beteiligen, kurz nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten gerade im Osten Deutschlands noch sehr hoch war. Die Möglichkeit, seine eigene Meinung sagen zu können, war nach dem Zusammenbruch der DDR eine neue und interessante Erfahrung. Fragebögen boten in dieser Zeit die Illusion einer Partizipation an gesellschaftlichen Entwicklungen. Die Erkenntnis, dass die Umfragen der diversen Markt- und Meinungsforschungsinstitute nur darauf abzielten, die Ansichten der Menschen für die Analyse neuer Absatzmärkte bzw. für parteipolitische Interessen zu nutzen, ließ jedoch nicht lange auf sich warten. Spätestens Mitte der 90er Jahre wurden Fragebogenaktionen mit großem Misstrauen betrachtet und in der Regel gemieden. 

Der dadaistische Ansatz dieser frühen solitaire-factory-Projekte und die Präsenz der Künstler vor Ort als Ansprech- und Diskussionspartner sorgten jedoch bei allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern stets für eine entspannte Atmosphäre. Die Gespräche, die sich während der Befragungen zwischen den Beteiligten entwickelten, waren für die Künstlergruppe der wichtigste Teil der Aktionen. Das eigentliche Ausfüllen der Fragebögen, welche ohnehin kaum eine sinnvolle Auswertung zuließen, war in diesem Kontext nur der Einstieg in einen Diskurs zu verschiedenen Themen

Insofern war das „Museum der immateriellen Werte“ in der Regel selbst ein immaterielles Kunstwerk, das nur während der Dauer der Aktionen existierte. 

Die wichtigsten Aktionen waren die Befragungen im Museum der Bildenden Künste Leipzig (Mai 1992), im Stadtgeschichtlichen Museum Leipzig anlässlich des Kolloquiums „Räume für Kunst – Europäische Museumsarchitektur der neunziger Jahre (September 1992), im Opernhaus anlässlich eines Präsentationstages Leipziger Vereine (Dezember 1992), vor der Moritzbastei in Leipzig (1993), in Leipzig Connewitz anlässlich der Aktionstage „Soziale Plastik Connewitz“ der Gruppe KunstCOOP (April 1993), am „Büro für Kunst“ in Bielefeld (November 1993) und während des Ausstellungsprojekts „Verborgene Orte“ der Montag Stiftung für Kunst im Brückenturm der ehemaligen Ludendorff-Brücke in Erpel am Rhein (1999).

Weiterhin zählen diverse Ausstellungen und Performances vor allem in Leipzig und Köln zum „Museum der immateriellen Werte“, ohne dass darauf immer speziell verwiesen wurde. Beispiele wären die Beteiligung am Kunstfestival „Übergriff“ (Werk II, Leipzig, 1992), die Ausstellung „Bilder aus der Wissenschaft“ (Galerie Fiedler, Leipzig, 1993) sowie die peudowissenschaftlichen Dia-Ton-Vorträge „Bildung, Frost und Wissenschaft“ (Ring Galerie, Leipzig, 1992 und „Bildung – Wissenschaft – Gesundheit“ (Dogenhaus Galerie, Leipzig, 1993).

Im Jahre 2019 sind die inszenierten Fotografien und ein Ordner mit Dokumenten der gesamten Werkgruppe Teil der Ausstellung "POINT OF NO RETURN" im Museum der bildenden Künste in Leipzig.

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Museum der Bildenden Künste, Leipzig
Erste Installation/Aktion aus der Werkgruppe "Museum der immateriellen Werte"


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Kunstfestival "Übergriff", Leipzig
Beteiligung

Kunstfestival "Tata West", Köln
Installation "Das Schweigen der Hämmer"
Beteiligung

Grassimuseum, Leipzig
Ausstellungsprojekt "Triade"
Installation "Das Schweigen der Hämmer"
Beteiligung

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